Winter. Fuer manche eine harte Zeit.
Der hochverehrte Herr Kiezneurotiker hat einen wichtigen Artikel ueber Obdachlose im Winter und Kaeltebusse geschrieben.

Dass wir nicht wegschauen sollen. Dass wir niemanden erfrieren lassen sollen.

Und dann hat man sie schon wieder im Ohr, die Kommentare. "Bei uns muss niemand verhungern und erfrieren", "Es gibt doch Wohngeld und Sozialwohnungen", "Es gibt doch Harz 4, man muss sich nur drum kuemmern" ...

Ich gebe zu, diesen Gedanken in aehnlicher Form auch schon gehabt zu haben.

Dann kam der halbe Grieche. Und mit ihm trat die Buerokratie in mein Leben.

Es ist unglaublich, was man alles fuer Zettel bei wievielen Stellen vorlegen und duemmstenfalls auch noch staendig erneuern muss, wenn man ein Kind hat und irgendetwas vom Staat haben moechte, zB Kindergeld oder einen Kitagutschein.

Und ich kann mir jetzt vorstellen, was es fuer ein unfassbarer Buerokratiewust sein muss, Hartz 4 oder ueberhaupt irgendein bisschen Unterstuetzung von irgendeinem Amt zu bekommen und zu behalten.

Wenn ich wissen will, wo ich was herbekomme, welches von den vielen Dezernaten zustaendig ist, wo das ist und wann das geoeffnet hat, setze ich mich an den Rechner und google das.

Das kann ein Obdachloser nicht. Der muss erstmal von Pontius bis Pilatus pilgern, bis er vielleicht den Zustaendigen findet, und dann wird er da wahrscheinlich weggeschickt, weil ihm Formular 27b/6 fehlt. Und vielleicht bekommt er 50EUR Nothilfe oder so was bewilligt, und dann geht der ganze Scheiss von vorne los.
Wenn er denn ueberhaupt in der Lage waere zu googeln, denn das muss man ja auch erstmal gelernt haben. Und ohne entsprechend gutes Deutsch kommt man wahrscheinlich auch nicht allzuweit.

Verstehe ich, dass er die Zeit lieber nutzt, um sich ein wenig Kohle zusammenzubetteln, sich ein warmes Plaetzchen zu suchen und ich verstehe auch voll, wenn er sich von der Kohle dann noch Alkohol kauft. Ich mein, was haste denn da noch vom Leben.

Vielleicht gibt es theoretisch die Moeglichkeit, dass die Leute alle irgendwo unterkommen. Praktisch haben die meisten diese Moeglichkeit aber eben NICHT.


Ich schliesse mich dem Appell vom Kiezneurotiker an und kopiere den einfach mal hierher:


Wenn Sie einen Obdachlosen sehen, der offenbar hilfebedürftig ist, dann sprechen Sie ihn an. Helfen Sie. Scheißen Sie darauf, ob er stinkt. Fragen Sie, ob Sie den Kältebus rufen sollen. Sie erreichen ihn für Berlin unter 0178 - 523 58 38 (Hamburg siehe hier). Er fährt von 21.00 - 03.00 Uhr. Ist er nicht ansprechbar, dann rufen Sie einen Krankenwagen: 112. Lassen Sie bitte niemanden erfrieren.

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amiswelt, Donnerstag, 28. November 2013, 13:55
Super. Finde ich gut, dass das angesprochen wird und beide Seiten repräsentiert werden. Habe mir darüber bis jetzt noch nicht so viele Gedanken gemacht. danke. :)

maracaya, Donnerstag, 28. November 2013, 18:49
ich gestehe, ich habe auch erst drueber nachgedacht, als ich bein Kiezneurotiker las, aber dass es immer mehr werden, das fiel mir auch schon auf.

c17h19no3, Donnerstag, 28. November 2013, 15:33
gut gebrüllt. :)
genau so isses.

erlebe das gerade mit einem nachbarn hier, der ist freier künstler und musiker und fleigt jetzt wegen winterloch in der auftragslage wohl aus der wohnung. der hat dreimal grundsicherung beantragen wollen und jedesmal fehlte ihm irgendein scheißwisch. dann wurde ihm die grundsicherung wegen mangelnder kooperationsbereitschaft gestrichen.

was will man machen. hab ihm erklärt, wie er ein t-konto bei der bank einrichtet. und dass er das konto bis zum dispo-limit leeräumen soll, bevor er nicht mehr ran kann.

traurig das. aber ich kann dem ja nix finanzieren, knapse ja selber...

maracaya, Donnerstag, 28. November 2013, 18:51
dieses buerokratentum im hilfsbedarfsfall ist einfach widerlich.

sachen, die geld bringen, wie auto zulassen, steuererklaerung abgeben oder neuen pass beantragen, die werden vereinfacht und automatisiert.

aber wehe man will geld haben.

cassandra_mmviii, Donnerstag, 28. November 2013, 16:48
Ich bin grad am Gucken, was es da für Bremen gibt. Die berliner Nummer zu wählen wäre ja wenig sinnvoll.

maracaya, Donnerstag, 28. November 2013, 18:54
ich habe da nichts gefunden. entweder ist bremen zu klein, oder, und das waere toll, die situation ist da oben einfach nicht ganz so prekaer.

cassandra_mmviii, Donnerstag, 28. November 2013, 20:46
Bremen ist eine der Städte mit der höchsten Quote an Armen. "Willst du Bremen oben sehen, mußt du nur das Blatt umdrehen" ;-)
das wir hier mit Hilfsmaßnahmen so gut versorgt sind, daß man nicht fürchten muß, daß im Winter jemand erfriert, kann ich mir grad nicht vorstellen.

Obdachlose haben wir hier auf jeden Fall, die Suppenengel werden ihre Suppe immer gut los. Im Zweifelsfall würde ich 112 rufen oder Team Grün-Weiß wenn ich nichts finde.

morgenstern, Donnerstag, 28. November 2013, 20:13
Ganz so einfach ist das nicht...
Ich habe momentan einen obdachlosen Klienten. Der sich seit Monaten weigert, die Obdachlosenunterkunft zu besuchen und hier zu nächtigen. Zum einen, da er dort einmal beklaut wurde, zum anderen, da er nicht mit "denen da in einem Raum sein möchte. Die riechen, pupsen,..." (O-Ton). Man hat versucht ihm entgegen zu kommen. Hat Vereinbarungen (auch zu seinen Gunsten) mit ihm zu treffen- er hat sich geweigert. Und schläft lieber auf der Straße. Auch jetzt, wo es kalt wird.
Er hat einen gesetzlichen Betreuer, einen Sachbearbeiter in der Obdachlosenbehörde und mich, als Beratungsstelle von Seiten der Stadt. Wir beißen uns alle die Zähne aus.
Gestern, als es erstmals richtig, richtig kalt wurde, haben wir ihn (auf Grund seines Zustands/Trunkenheit) vom Rettungsdienst aufsammeln lassen, nachdem er mehrfach gebeten wurde, doch in die Obdachlosenunterkunft zu gehen. Er wollte nicht. Fuhr lieber mit dem Rettungsdienst mit. Um heute morgen grad wieder an seinem Stammsitz zu sein. Ihm droht jetzt, wo es kalt wird, die Zwangseinweisung. Alles schon mehrfach durchgespielt, irgendwann taucht er immer wieder auf.

Der Leistungsbezug wird, zumindest bei uns, ist mir aber auch aus anderen Kreisen bekannt, vereinfacht. Nicht Sesshafte haben die Möglichkeit, sich z.B. in der Obdachlosenunterkunft/bei bestimmten Verbänden/... zu melden, und sich den Tagessatz auszahlen zu lassen. Ganz ohne Bürokratiekram, sie müssen lediglich einen Ausweis vorlegen.
Natürlich gibt es eine Einschränkung: Umherreisende können sich max. 3 Tagessätze auszahlen lassen. Es gibt bei einigen Stellen jedoch die Möglichkeit, sich über die Betreuungseinrichtung anzumelden (Meldeadresse), so dass sie für das Jobcenter erreichbar sind und somit auch in den normalen Leistungsbezug aufgenommen werden können. Hat aber auch etwas mit Verbindlichkeit zu tun, so dass nicht alle diese Möglichkeit nutzen.

(Als sonst stille Leserin musste ich hier jetzt aber doch mal meinen Senf abgeben. Ich bitte dies zu verzeihen :) )

maracaya, Donnerstag, 28. November 2013, 21:07
nein, vielen dank, ich finde es echt interessant, auch mal die andere seite beleuchtet zu sehen (ganz abgesehen davon, dass es natuerlich auch immer verdammt spannend wird, wenn sich die stillen leser mal zu wort melden ;) )

wusste ich zB. nicht, dass es das alles gibt - und wer weiss, ob es der humpelnde rumaene vorm lidl weiss.

und wenn man es denn weiss, was die mannigfaltigen gruende sind, doch lieber draussen auf der strasse zu bleiben.

es ist wohl in beide richtungen nicht einfach; ich kann mir auch gut vorstellen, wie frustrierend es ist, wenn man helfen will, und die hilfe nicht angenommen wird.

trotzdem - lieber einmal zuviel als einmal zu wenig hingeschaut.